Wer uns auf Facebook folgt weiß, dass wir inzwischen wieder einmal auf dem Camino unterwegs waren. Diesmal ging es auf dem Camino Inglés von A Coruña nach Santiago und von dort weiter nach Muxia und Finisterre. Natürlich werden wir wieder ausführlich über diese Pilgerreise berichten, an dieser Stelle möchte ich aber eine kleine Geschichte loswerden eine dieser Kleinigkeiten, die einem auf dem Camino immer wieder über den Weg „läuft“ niederschreiben. In diesem Falle nämlich kriecht einem dieses Tier öfter über den Weg. Aber beginnen wir die Geschichte mal vorne:
Es war einmal eine Gruppe von Pilgern, die sich eines schönen Tages auf den Weg ans Ende der Welt machten. Wie es der Zufall so wollte war ein Schamane unter den Leuten, die sich auf den Weg zum Kap in Finisterre machten, ein Schweizer Schamane – wie sollte es auch anders sein?
Es war Frühling, das Wetter wechselte ständig. Auf dem Weg zum Leuchtturm in Finisterre passierte etwas Schreckliches (- oder gar Schneckliches?). Eine der Pilgerinnen, die sonst so umsichtig und rücksichtsvoll durch die Welt schritt, mit offenen Augen und ständig bemüht, das Gute zu sehen, marschierte mit großen Schritten gen Kap. Und da passierte es: mit einem falschen Tritt löschte sie ein Leben aus. Erst zerstörte die Pilgerin das Haus, dann das Lebewesen. Ein lautes „KNACK“. Das Leben einer Schnecke fand ein jähes Ende.
Die Gruppe war entsetzt – vor allem die Pilgerin, die unfreiwillig zur Mörderin wurde, konnte das Geschehene nicht fassen. Warum musste so etwas passieren, an einem solch schönen Tag? Fortan beschlossen die Pilger, jeder Schnecke, die ihren Weg kreuzt, das Leben zu retten. Alle Tiere, die auf der Straße unterwegs waren und denen Unheil drohte, wurden auf den Wegesrand ins Grün gebracht. Doch schnell kamen Zweifel auf. War es richtig, ins Leben der Tiere so drastisch einzugreifen? Muss man nicht bedenken, in welche Richtung die Schnecken wollten und sie dann auf die Seite der Straße zu setzen, in deren Richtung ihre flatternden Fühler (ja, es war durchaus ein stürmischer Tag), an deren Enden schließlich die Augen der Tiere sitzen, gerichtet waren? Oder sollte man sie nicht ganz ihrem Schicksal, ihrer Bestimmung oder der Vorsehung irgendeines höheren Wesens über- und den Dingen ihren Lauf gehen lassen? Vielleicht wollten die Schnecken ja nicht mehr weiter leben. Vielleicht gibt es so etwas wie eine natürliche – wenn man bei einer mensch gemachten Straße das Wort „natürlich“ in den Mund nehmen darf – Selektion?
Trotz solcher Gedanken kam die Gruppe Pilger nicht umhin, in die Leben der Tiere einzugreifen und eine Schnecke nach der anderen zu retten. Zumindest setzten sie die schleimigen Kriecher nun immer in die Richtung, in die sie gerade unterwegs waren. Das erschien ihnen, da sie es ja nur gut meinten, als das geringste Übel. Also setzten sie ihren Weg fort, retteten Schneckenleben, freuten sich dann doch wieder ob ihrer Erkenntnis und dass das Todesopfer nicht umsonst sein Leben ließ. Sie gingen zum Kap, hatten eine gute Zeit und setzten selbst ihr Leben fort.
Abends dann – wieder zu Hause von ihrem kleinen Ausflug – machten die Pilger ein Feuer und wollten ihren so erkenntnisreichen Tag bei einem Gläschen Wein ausklingen lassen. Da begab es sich, dass der Schweizer Schamane etwas Erstaunliches entdeckte. Aus dem Augenwinkel sah er sie: Eine Schnecke kroch da die Hausmauer hinunter. Und es war nicht nur eines der possierlichen Tierchen, es war eine ganze Familie, denn der Mutter folgten ihre Kinder – im Schneckenmarsch sozusagen. Sollte das ein Zeichen sein? Schließt sich hier etwa der Kreis? Ist diese Schnecke am Morgen tatsächlich nicht umsonst gestorben?
Wir werden es vermutlich nie erfahren, uns hat die Geschichte aber viel Raum für Spekulationen und wirre Gedanken gelassen. Natürlich erzählen wir diese Geschichte hier mit einem Augenzwinkern. Eines ist aber sicher: unser letzter Pilgerweg stand ganz klar im Zeichen der Schnecke!